Ausbildung in Teilzeit ist ein herausforderndes, aber lohnenswertes Modell
412,00 €
inkl. MwSt, zzgl. Versandkosten
Versandkostenfrei in folgende Länder: Mehr anzeigen Weniger anzeigen
Wenig Sprachkenntnisse, keine Schulausbildung, zwei Kinder im Kita-Alter und der Wunsch nach Teilzeit-Arbeit: Es sind keine idealen Voraussetzungen, um eine Ausbildung zu beginnen – zumindest auf den ersten Blick. Mit diesen Gedanken ist auch Stefan Wallmeyer, Küchenchef des Kloster Gerleves in Billerbeck, in das Kennlern-Gespräch mit Jahavie Malistani gegangen. Doch die hohe Motivation der jungen Frau überzeugte ihn. Seit 2018 ist sie nun festangestellte Köchin im Kloster Gerleve und Stefan Wallmeyer sagt: „Sie war die beste Auszubildende, die ich bisher hatte.“
Kümmerer ist unbedingt notwendig
Jemandem wie Jahavie Malistani eine Chance zu geben, bedeutet für ein Unternehmen auch Verantwortung und einen Mehraufwand um diese Kümmerer-Aufgaben – im Idealfall mit viel Engagement – zu übernehmen. Der Dank ist in der Regel ein motivierter und loyaler Mitarbeiter.
Jahavie Malistani und das Kloster Gerleve fanden über die Handwerkskammer Münster zusammen, die bei Stefan Wallmeyer anfragte, ob er sich vorstellen könnte, die junge Frau zur Köchin auszubilden – in Teilzeit. 2015 war Jahavie Malistani gemeinsam mit ihrem Mann und ihren beiden kleinen Kindern aus Afghanistan geflüchtet. Dort hatte sie keine Schule besuchen dürfen, sich jedoch eigenständig das Lesen und Schreiben beigebracht.
Neue Dienstpläne erarbeiten und Kollegen überzeugen
Da ihr Mann parallel eine Ausbildung absolvierte, suchte Jahavie Malistani mit Hilfe eines älteren Ehepaars, das die Familie in Deutschland betreute, nach einer Möglichkeit zur Teilzeit-Ausbildung, um die Kinder zur Kita bringen zu können und sich nach der Kita um sie kümmern zu können: 30 Stunden pro Woche mit einem Arbeitsbeginn nicht vor 9 Uhr. „Das war schon eine große Herausforderung für uns“, erinnert sich Wallmeyer. Da die beiden Präsenztage in der Schule auch bei einer Teilzeitausbildung unverändert bleiben, verringert sich im Vergleich zum Vollzeit-Azubi die Zeit im Betrieb. „Und nicht nur das: Ich musste Dienstpläne mit einem geänderten Schichtsystem erarbeiten, die Vorbehalte einiger im Team abbauen und es dazu motivieren, Jahavie Malistani zu unterstützen und zu integrieren. Zum Glück änderte sich die anfangs skeptische Haltung sehr schnell, als es merkte, wie aufgeschlossen, teamfähig und lernbegierig die neue Auszubildende war.“ Sie belegte zusätzlich zu ihrer Teilzeit-Ausbildung weiterhin Deutschkurse an den Abenden und machte nebenbei den Führerschein, um flexibler zu werden.
Unterstützung in der Schule, aber keine Bevorzugung
Schon nach kurzer Zeit stand das Team laut Wallmeyer voll hinter Jahavie Malistani und nicht nur das: Man bildete Fahrgemeinschaften und half sich gegenseitig wo man konnte. Darüber hinaus unterstützte es kontinuierlich beim Spracherwerb. Bei den Herausforderungen in der Berufsschule kümmerte sich Stefan Wallmeyer selbst intensiv, half bei den Aufgaben und hielt engen Kontakt zu den Lehrern. „Besonders die Schriftsprache war schwierig, da es sich im Deutschen um vollkommen andere Zeichen handelt. Es kam immer wieder vor, dass Jahavie Malistani Aufgaben falsch verstanden hatte oder erst einmal erklärt bekommen musste. Dafür habe ich mir die Zeit genommen und dementsprechend ihre Ausbildung stärker überwacht als bei anderen Azubis“, erklärt Wallmeyer. „Gleichzeitig war es mir wichtig, sie nicht zu bevorzugen oder anders zu behandeln. Es ging viel mehr darum, Schwächen zu erkennen und sie dort, wo es nötig war, zu fördern – zum Beispiel die Aussprache zu korrigieren oder ihr Fachbegriffe beizubringen. Dafür habe ich ihr privat unter anderem einen gebrauchten Laptop organisiert.“
Prüfungen jeweils im ersten Durchgang bestanden
Die Unterstützung wirkte: Jahavie Malistani bestand sowohl die Zwischen- als auch die Abschlussprüfung ohne Verzögerung im ersten Durchgang. „Sie hatte die besten Noten, die mit ihrem Hintergrund erreichbar waren. Sie ist sehr diszipliniert, aufnahmefähig, belastbar, selbstständig, kreativ mit eigenen Ideen, aber auch mit einer eigenen Meinung, tolerant und durchsetzungsfähig“, sagt Wallmeyer. „Und sie ist ganz einfach herrlich unkompliziert.“
Seit dem Ende der Ausbildung arbeitet Jahavie Malistani als Köchin in ihrer gewohnten Schicht im Kloster Gerleve. Die junge Familie lebt mittlerweile in ihrer eigenen Wohnung und hat die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Eine Ausbildung in Teilzeit würde Stefan Wallmeyer immer wieder anbieten. „Ich weiß gar nicht mehr, warum ich der Teilzeitausbildung so skeptisch gegenüber stand, alle Bedenken haben sich in Luft aufgelöst und das bisschen Mehraufwand hat sich auf jeden Fall gelohnt“, sagt er und lacht.
Text: Sabrina Becker
Bildzeile: Jahavie Malistani hat im Kloster Gerleve eine Teilzeitausbildung zur Köchin absolviert. Küchenchef Stefan Wallmeyer würde diese Möglichkeit jederzeit wieder anbieten. Foto: Kloster Gerleve