Der Beginn
Die Gesundheitsbranche steht durch die fehlenden Fachkräfte zunehmend unter Druck. „Wir sind hier in einem ländlichen Raum, viele junge Menschen zieht es in die Ballungsgebiete. Daher müssen wir
selbst sehr aktiv werden und neue Wege finden“, so Projektleiter Torsten Meyer. Bereits 2022 hat sich das Klinikum Westmünsterland (KWML) dazu entschieden, einen dieser neuen Wege einzuschlagen
und Fachkräfte aus dem Ausland zu rekrutieren.
Um mit einem möglichst detaillierten Konzept in das Projekt zu starten, stand zu Projektbeginn vor allem der Austausch mit anderen Kliniken, die bereits Fachkräfte aus dem Ausland rekrutieren,
und die Suche nach einer passenden Partneragentur auf der Agenda. Das Ergebnis: die Rekrutierung von Pflegekräften aus Georgien zunächst für den Standort Bocholt und die Zusammenarbeit mit einer
Agentur aus Iserlohn.
Rahmenbedingungen und kulturelle Integration
Damit eine ausländische Pflegefachkraft in ihrem Beruf in Deutschland arbeiten darf, ist zunächst eine Gleichwertigkeitsprüfung der Bezirksregierung Münster notwendig. Werden sogenannte Defizite
in der ausländischen Ausbildung oder dem ausländischen Studium festgestellt, können diese mithilfe von praktischen Einsätzen, Übungen und theoretischem Wissensaufbau meist innerhalb von 6 bis 9
Monaten aufgelöst werden. Eine abschließende Prüfung ist der letzte Schritt, um die Berufserlaubnis zu erlangen und ins Berufsleben zu starten. Auf dem gesamten Weg zur Berufsanerkennung
unterstützt das Klinikum Westmünsterland die neuen Kolleginnen und Kollegen mit Rat und Tat.
Aber nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die gelungene kulturelle Integration spielt eine entscheidende Rolle für den Erfolg des Projekts.
Um den Übergang in das neue Leben im Westmünsterland so leicht wie möglich zu machen, trifft das Klinikum Westmünsterland schon vor Anreise der Pflegekräfte umfangreiche Vorbereitungen. Dazu
gehören:
- die Suche eines Hausarztes
- das Einrichten eines Bankkontos
- die Anmeldung zur Gesundheitsversorgung
- die Organisation einer Wohnung
Da die Wohnraumsuche meist der schwierigste Part im gesamten Integrationsprozess ist, stellt das Klinikum Westmünsterland den neuen Pflegefachkräften für das erste Jahr Wohnraum zur Verfügung und
unterstützt auch danach bei der Wohnraumsuche. Durch die Unterbringung im ehemaligen Schwesternheim können die neuen Mitarbeiter sich gegenseitig unterstützen und sind gerade in der Anfangszeit
nicht alleine.
Neben dem Engagement des Projektteams spielt auch der Einsatz des gesamten KWML-Teams eine große Rolle. Dem Aufruf, gebrauchte Fahrräder für die neuen Mitarbeiter zu spenden, folgten so viele,
dass alle ausländischen Pflegekräfte direkt ein eigenes Fahrrad erhielten.
Unmittelbar nach der Ankunft der Fachkräfte geht es dann darum, sich mit der neuen Umgebung, der Lebensart und den Begebenheiten vor Ort vertraut zu machen. So lernen die neuen Kolleginnen und
Kollegen zum Beispiel von den KWML-Mitarbeitenden wie sie Fahrrad und Bus fahren. „Das machen wir gemeinsam in der ersten Woche, in der wir ihnen auch die Stadt und die Einkaufsmöglichkeiten
zeigen“, so Torsten Meyer. Der Umgang und die Begebenheiten bei deutschen Banken gehören ebenfalls dazu. Denn: „Das erste Monatsgehalt heben fast alle direkt vom Konto ab und nehmen es mit nach
Hause, weil sie der Bank nicht trauen. Deshalb erkläre ich ihnen, dass das Geld bei der Bank sicher ist und sie dort auch Geld für Abbuchungen vorhalten müssen“, so Torsten Meyer.
Wenn die neuen Kolleginnen und Kollegen die Abschlussprüfung zur Anerkennung ihres Abschlusses erfolgreich bestanden haben, was laut Meyer den meisten aufgrund ihrer fachlichen Vorkenntnisse ohne
Probleme gelingt, unterstützt das Klinikum gemeinsam mit dem Service Onboarding des Münsterland e.V. auch den Familiennachzug.
Die Einreise georgischer Pflegekräfte – mehr als ein Pilotprojekt
Insgesamt war die Einreise der georgischen Pflegekräfte als Pilotgruppe laut dem KWML ein voller Erfolg. Es seien tiefe Freundschaften zwischen den bereits bestehenden Mitarbeitenden und den
neuen Kolleginnen und Kollegen entstanden. Auch das Kennenlernen der georgischen Kultur etwa durch das gemeinsame Kochen landestypischer Gerichte sei eine große Bereicherung für die Beschäftigten
des Klinikums. „Auch die Patienten sind dem Ganzen äußerst positiv entgegengetreten und haben sehr freundlich und verständnisvoll reagiert, wenn es mal Sprachschwierigkeiten gab“, berichtet
Torsten Meyer und ergänzt: „Sie haben einfach mitgeholfen und Vorschläge gemacht, wenn die Kolleginnen und Kollegen nicht sofort das richtige deutsche Wort fanden.“ Einzelne Fälle, bei denen die
Eingliederungen nicht so erfolgreich gelaufen sind, habe es natürlich auch gegeben. „Diese sind aber glücklicherweise eher die Ausnahme und schmälern sicher nicht der Gesamterfolg“, versichern
Torsten Meyer und Personalreferentin Hanna Büter.
In Georgien sei das Klinikum Westmünsterland inzwischen äußerst bekannt, was dazu führe, dass gezielt Bewerbungen bei der Agentur in Iserlohn eingingen. So etwa die Bewerbung einer
Pflegedirektorin eines großen Klinikums in Georgien mit 1.500 Mitarbeitenden. Sie wollte in Deutschland neu starten und damit auf ihre in Georgien erworbenen Qualifikationen verzichten. Nach der
erfolgreich abgeschlossenen Qualifizierungsphase arbeitet sie nun auf einer Station im KWML. Ihren vier Jahre alten Sohn hat sie bereits nachgeholt, ihr Mann lernt fleißig Deutsch, da er für die
Einreise zumindest Sprachkenntnisse auf einem A2-Niveau nachweisen muss. Die Bedingungen in Georgien sind schwierig, häufig erfordern die hohen Lebenshaltungskosten
und Mieten einen doppelten Vollzeitjob. „Sie bekommen etwa 150 Euro monatlich und die Miete für eine 75-Quadratmeter-Wohnung beträgt gerne mal 450 Euro – das geht einfach nicht auf und
funktioniert nur, wenn man zwei Jobs hat und mit der ganzen Familie inklusive der Eltern auf engem Raum wohnt“, so Torsten Meyer. Hinzu komme aktuell die Nähe des russischen Angriffskriegs in der
Ukraine, vor dem sich auch die Menschen in Georgien fürchteten.
Ausweitung und Weiterentwicklung des Projektes
Da das Pilotprojekt mit den georgischen Pflegekräften so erfolgreich war, hat das Klinikum das Projekt ausgeweitet, weiterentwickelt und sich im Personalmanagement mittlerweile darauf
spezialisiert. Dabei stehen drei Gruppen im Fokus:
(1) Fachkräfte aus dem Ausland, die bereits eine pflegerische Ausbildung oder ein Studium im Ausland absolviert haben und noch im Ausland leben:
Diese werden wie die georgischen Pflegekräfte über die Partneragentur aus Iserlohn vermittelt und begleitet. So sind mittlerweile nicht nur georgische Pflegekräfte im Klinikum Westmünsterland
beschäftigt, sondern auch Pflegekräfte aus Tunesien.
(2) Auszubildende aus dem Ausland, die einen ausländischen Schulabschluss haben, nach Deutschland kommen und die Ausbildung hier absolvieren möchten:
Auch sie werden durch die Partneragentur vermittelt und durchlaufen dann die reguläre Ausbildung zum Pflegefachmann oder zur Pflegefachfrau im Klinikum Westmünsterland.
(3) Fachkräfte aus dem Ausland, die bereits eine Ausbildung oder ein Studium im Ausland absolviert haben und schon in Deutschland leben:
„Die Bewerbungen ausländischer, bereits in Deutschland lebender Personen hat uns auf die diese Möglichkeit gebracht“, berichtet Hanna Büter. „Warum sollten wir nicht auch den hier vor Ort
lebenden ausländischen Menschen helfen, ihre fachliche Qualifikation aus dem Heimatland zu nutzen? Denn viele arbeiten in fachfremden Bereichen, weil sie einfach nicht wissen, wie sie ihre
deutsche Berufsanerkennung erlangen können.“
„Engagement und Teamgeist sind unsere Schlüssel zum Erfolg. Wir werden unser bestehendes Konzept weiterverfolgen und ausbauen, denn nur gemeinsam können wir richtig was bewegen und dem
Fachkräftemangel entgegenwirken“, resümieren Hanna Büter und Torsten Meyer.
Text: Kerstin Schmitt | Foto: Klinikum Westmünsterland